Mütter verstecken ihre Not – Im LAUFMAMALAUF-Interview Anne Schilling, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks

Was macht die Corona-Pandemie mit Müttern? Alles wie vorher oder gibt es Veränderungen? Und mit welchen Auswirkungen haben Institutionen zu kämpfen, deren Dasein wir immer als selbstverständlich genommen haben. Organisationen wie beispielsweise das Müttergenesungswerk mit seinen über 70 Kliniken, in denen man sich um erholungsbedürftige Mütter, Väter und pflegende Angehörige kümmert.

Anne Schilling ist seit 19 Jahren Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks. Und das aus vollster Überzeugung. Im Studium der Politik und Germanistik und im darauffolgenden Berufsleben war ihr Schwerpunkt immer Frauenpolitik. So war sie bereits vor ihrer Arbeit im Müttergenesungswerk kommunal und auf Bundesebene als Frauenbeauftragte tätig. Eine starke und engagierte Frau, die sich mit ganzem Herzen für die Interessen von Müttern und Frauen einsetzt. Wir haben mit ihr über die aktuellen Herausforderungen und die Auswirkungen von Corona gesprochen.

Anne Schilling © Müttergenesungswerk

Was bedeutet Ihnen die Arbeit beim Müttergenesungswerk?

Ich arbeite mit Leidenschaft politisch und strukturell für das Müttergenesungswerk und seine Ziele in der Geschäftsstelle. Wir unterstützen Mütter individuell mit Kuren und strukturell, indem wir uns für gesetzliche und niedrigschwellige Rahmenbedingungen im Sinne der Mütter einsetzen. Der Stiftungsgründerin Elly
Heuss-Knapp gehört meine Bewunderung, denn sie hat 1950 ein hochmodernes Vernetzungsprojekt gegründet: 5 Wohlfahrtsverbände bzw. ihre Frauenorganisationen für das Ziel Gesundheit von Müttern vernetzt, damit schon bestehende Beratungsstellen und Mütterkliniken der Verbände zur Zusammenarbeit gewonnen und das ganze Gebilde als Spendenorganisation ohne öffentliche Regelfinanzierung aufgezogen. Das ist bis heute eine Herausforderung. Das Müttergenesungswerk war immer sehr modern und sehr am Puls der Zeit in Bezug auf Frauen- und Mütterrolle, deren Bedürfnisse – bis heute.

Corona hat vieles verändert. Welche Auswirkungen zeichnen sich aktuell für das MGW ab?

2020 haben wir als Jubiläumsjahr der Stiftung geplant – 70 Jahre. Corona hat uns ins Jubiläumsjahr „gepfuscht“, die Muttertags-Spendensammlung musste verschoben werden, wir sind in großer Sorge, wie sie im September läuft, da unsere Arbeit auf Spenden angewiesen ist. Die Spenden-Jubiläumskampagne #gemeinsamstark ist letztes Jahr glücklicherweise schon Online geplant worden, wir konnten nicht wissen, wie passend das Motto sein würde.

Anne Schilling freut sich mit ihrem Team in Berlin über Glückwünsche zum 70. Jubiläum. © Müttergenesungswerk

Welche Auswirkungen hat Corona auf die Belastungssituation von Müttern? Kann man da schon Veränderungen ausmachen?

Die Belastungssituation der Mütter ist auf jeden Fall gestiegen, das zeigen die ersten Studien. Insbesondere Mütter haben die Verantwortung für Familienarbeit, Hausarbeit, Kinderbetreuung und eigenes Homeoffice getragen. Fast alle der über 70 MGW-Kliniken sind wieder in Betrieb, viele noch mit Teilbelegung. Das ist extrem schwierig, weil die Warteliste lang geworden ist und viele Mütter nach Corona sehr verzweifelt auf eine schnelle Kur hoffen. Gleichzeitig hören wir aus den Kliniken, dass die Mütter, trotz besonderer Rahmenbedingungen glücklich sind, dort zu sein.

Sehen Sie auch positive Auswirkungen auf Familien durch die Coronakrise?

Das Bewusstsein für die ohnehin schon bestehenden Belastungen insbesondere von Müttern ist in der Bevölkerung gestiegen. Darüber wurde in der Öffentlichkeit viel diskutiert. Damit ist die sonst so unsichtbare „Sorgearbeit“ in Familien sichtbarer geworden und wer sie leistet. Die Diskussion hat auch gezeigt, dass Sorgearbeit keine Privatsache ist und nicht nur zwischen Frau und Mann auszuhandeln sind, sondern die ganze Gesellschaft fordert.

Welche Lösungen bieten Sie mit dem Müttergenesungswerk, um Mütter zu entlasten?

Das Müttergenesungswerk bietet eine Therapeutische Kette: über 1000 Beratungsstellen bei den Wohlfahrtsverbänden, die beim Kurantrag, bei der Wahl der
passenden Klinik oder auch mit Spenden bei der gesetzlichen Zuzahlung helfen. Mütter werden auf die Kur und Abläufe vorbereitet und nach der Kur wird Nachsorge angeboten, d.h. Unterstützung bei der Rückkehr in den Alltag. Die Kuren für Mütter und Mutter-Kind – aber auch für Vater-Kind oder für pflegende Angehörige – sind ganzheitlich und gendersensibel. D.h. neben medizinischen und physiotherapeutischen Therapien gibt es immer auch sozialpsychologische Therapien, die u.a. Belastungen und Erkrankungen in den Zusammenhang mit Rollenbildern, gesellschaftlichen Erwartungen und Arbeitsaufteilung in der Familie stellen. Viele Mütter erkennen Zusammenhänge, die nicht individuell, sondern strukturell belasten, viele nehmen Impulse für Veränderungen mit nach Hause und viele bestätigen uns, dass die Kur nachhaltig wirkt und den Blick verändert – und damit auch das Handeln.

Was würden Sie sich von Politik und Gesellschaft wünschen, im Hinblick auf Mütter und im Hinblick auf das Müttergenesungswerk?

Mütter sagen oft, dass ihnen der Respekt in den Kliniken so gut getan hat, endlich ernstgenommen zu werden. Wir müssen Mütter strukturell entlasten und nicht die ganze Sorgearbeit von ihnen erwarten: mit Kindern, in der Pflege von Angehörigen, im Haushalt. Diese kontinuierliche Belastung und Überlastung kann krank machen. Wir brauchen ein modernes neues Mutterbild, das mit dem modernen Frauenbild Schritt hält: Gleichberechtigung, Bedürfnisse aller Familienmitglieder ernst nehmen, Aufteilung von Hausarbeit auf beide Paare als Leitbild usw.

Wir wünschen uns als Müttergenesungswerk eine gesetzliche Regelung für das Recht auf Beratung vor und nach der Kur, denn bisher gibt es keine öffentliche Finanzierung für die Beratungsstellen – die leider weniger werden, obwohl der Bedarf so groß ist. Von 130.000 auf 114.000 sind Beratungen in 2019 gesunken. Wir wünschen uns aber auch angemessene Tagessätze in den Kliniken, diese sind unterdurchschnittlich und spiegeln wieder eine Wertigkeit. Dann könnten auch mehr Kliniken entstehen und Wartezeiten verkürzt werden.
Und von der Gesellschaft wünschen wir uns dringend mehr Unterstützung für unsere Spendensammlungen. Mütter verstecken sehr gut ihre Not, aber viele brauchen Hilfe: z.B. finanziellen Zuschuss, Beratung, Aufklärung und Information… und dafür sammeln wir jetzt mit #gemeinsamstark.

Vielen Dank für das Interview, liebe Frau Schilling!

LAUFMAMALAUF unterstützt diese wichtige Arbeit des Müttergenesungswerks. DU kannst dabei helfen und Dich mit uns #gemeinsamstark machen. Jede noch so kleine Spende hilft Müttern in Not. Von Mamas für Mamas!

PSST … nicht verpassen! Im September gibt es im Rahmen der großen Spendenaktion für das MGW eine mega Gewinn-Chance für alle Spenderinnen. Mehr Infos findet Ihr in Kürze hier auf dem LAUFMAMALAUF-Blog.

Hier jetzt schon spenden!

 

Schreibe einen Kommentar